Den Start eines Space Shuttles im Cockpit miterleben und bei der Landung den Orbiter selber steuern: Shuttle Commander macht’s möglich. Wir haben die nächste VR-Experience der Apollo-11-Macher auf der Reverb G2 im Test.

Eines gleich vorweg: Shuttle Commander ist kein Spiel im klassischen Sinn. Hersteller Immersive VR Education hat sich vielmehr darauf spezialisiert, historische Ereignisse in VR erlebbar zu machen, wenn auch teils mit spielerischen Mitteln. Vielleicht kennt ihr deren frühere Titel Apollo 11 VR und Titanic VR. Wenn nicht, habt ihr echt etwas versäumt. Uneingeschränkte Empfehlung meinerseits!

Hier soll’s aber um Shuttle Commander gehen. Die Experience gibt’s schon seit einiger Zeit für PCVR und seit Dezember 2020 auch für PC. Als Backer von Apollo 11 VR hat mir Immersive VR Education einen Code kostenlos zur Verfügung gestellt. Feiner Zug, herzlichen Dank. Ich bin trotzdem mal so frei und schau dem geschenkten Gaul ins Maul …

Eure drei Astronauten-Kollegen im Oberdeck der Discovery

Die Startphase ist grandios

Shuttle Commander besteht aus mehreren einzelnen Experiences. Es gibt den Start, die Landung, eine Handvoll Missionen im Orbit und einen Astronomie-Teil, der Wissenswertes wie Größenverhältnisse und Entfernungen in der Milchstraße vermitteln will. Schauen wir uns die Teile genauer an.

Die Launch-Experience versetzt euch ins Cockpit des Shuttles Discovery kurz vor dem Start am 24. April 1990. Bei der damaligen Mission STS-31 wurde das Weltraumteleskop Hubble ausgesetzt, was ihr im Rahmen der Missionen übrigens auch nachspielen könnt. Aber dazu später mehr. Den Start im Raumfahrzeug miterleben – das hat schon bei Apollo 11 gut funktioniert und kommt bei Shuttle Commander sogar noch besser. Die Macher haben diesmal auch das In-Cockpit-Audio mit abgemischt. Die Unterhaltung der Crew untereinander zu hören, das fördert die berühmte „Immersion“ ungemein. Daneben hört ihr natürlich wieder den Funkverkehr, den Audio-Kommentar der NASA-Sprecher und es gibt wieder eine mitreißende Musikuntermalung. Kurz: Die gut 15-minütige Experience von den finalen Countdown-Minuten bis in den Orbit ist echt gut gemacht.

Der HUD hilft euch den Weg zur Landebahn zu finden

Das Shuttle in VR landen

Während ihr beim Start nur passiver Passagier seid, dürft ihr bei der Landung selber Hand anlegen. Ihr übernehmt in den finalen Minuten des Flugs und steuert das Shuttle die letzten paar Kurven bis zum Aufsetzen. In eurem HUD bekommt ihr den Flugkorridor eingeblendet, in dem ihr bleiben sollt. Das ist gar nicht mal einfach, weil das Shuttle mehr kontrolliert vom Himmel fällt als fliegt und auf eure Steuerbefehle recht träge reagiert. Vor dem Aufsetzen müsst ihr per Knopfdruck Fahrwerk und Bremsfallschirm bereit machen, das Fahrwerk ausfahren, nach dem Aufsetzen den Bremsfallschirm auslösen und schließlich den Fallschirm abwerfen. Eure gelungene Landung könnt ihr euch im Replay in diversen Außenansichten anschauen.

Außerdem bekommt ihr eine Bewertung gezeigt: Wie nah an der Mittellinie habt ihr aufgesetzt, habt ihr die maximal zulässige Geschwindigkeit eingehalten etc. Das motiviert natürlich, sich zu verbessern. Und dass man verschiedene Parameter für das Szenario ändern kann – zum Beispiel die Location (Florida oder Kalifornien), das Wetter, die Tageszeit etc. – sorgt für einen gewissen Wiederspielwert.

VR Cover
Die Landung dürft ihr euch im Replay aus verschiedenen Perspektiven anschauen

Die Missionen gehören nicht zu den Highlights

Dann warten im eingangs erwähnten Missionsmodus ja noch diverse Missionen auf euch. In Mission eins dürft ihr Hubble aussetzen. Das heißt, ihr steuert von Bord des Shuttles aus den Greifarm, der Hubble aus dem Laderaum hebt und im All loslässt. Mission zwei, drei und vier sind Hubble-Service-Missionen. Im Rahmen von Raumspaziergängen müsst ihr an Hubble entweder die Solarpanels austauschen, oder Serviceklappen öffnen, um Systeme aufzurüsten etc.

So gelungen ich Launch-Experience und Lande-Simulation finde: Mit den Missionen hab ich gleich mehrere Probleme. Einerseits sind Mission drei bis vier spielerisch de facto ident. Jedes Mal schraubt ihr nur an Hubble rum. Und das ist leider nicht gut inszeniert. Der Raumanzug, den ihr bei diesen Weltraumspaziergängen hoffentlich tragt, wird nicht visualisiert. Ihr bewegt euch mit direkter Steuerung wie in einem 3D-Shooter fort, die Trägheit in der Schwerelosigkeit wird nicht simuliert. Das Handling der Werkzeuge ist extrem zickig. Und die Physiksimulation ist unrealistisch – die riesigen Solarpanels könnt ihr mit Leichtigkeit hin- und herschwingen, als würdet ihr mit einer Gabel in der Hand rumfuchteln. Zumindest Mission eins, bei der man Hubble aussetzt, hat einen gewissen Unterhaltungswert, leidet aber auch unter der rudimentären Physiksimulation. Der Rest? Ist in meinen Augen verzichtbar.

Dann steckt ja noch der Education-Part im Spiel. Darin werden Größenverhältnisse im Universum visualisiert. Die Intention dahinter versteh ich wohl, immerhin soll Shuttle Commander ja für den Unterricht geeignet sein. Das Ding ist nur: Diese Mini-Doku profitiert von VR de facto nicht und würde auf dem Monitor genauso funktionieren.

Die spielbaren Missionen sind die Schwachstelle von Shuttle Commander

Solide Experience für Space-Nerds

Unterm Strich bleiben eine intensive Launch-Experience, eine gut gemachte Lande-Simulation mit Wiederspielwert – und liebloses Beiwerk. Im Vergleich zur Apollo 11 vom gleichen Hersteller zieht Shuttle Commander klar den Kürzeren, wofür die Macher aber nur bedingt etwas können. Bei Apollo 11 gab es einfach viel mehr verschiedene Flugphasen und viel mehr Geschichte zu transportieren. Das Shuttle ist halt „nur“ in den Erdorbit geflogen. Dennoch hätte man die Experience noch umfangreicher gestalten können. Eine Docking-Mission mit der ISS hätte sich doch sowas von angeboten. Oder dass man nicht nur die eigentliche Landung, sondern schon den Wiedereintritt miterleben kann. Und wenn ich mir persönlich was wünschen dürfte, dann wäre das den Shuttle-Start vom Boden aus mitzuerleben, vor der ikonenhaften NASA-Countdownuhr hinterm Press Center.

Mal schauen, was zukünftige Updates noch bringen. Das Hauptmenü kündigt jedenfalls schon mal eine Tour durch das Shuttle als „coming soon“ an.

Ihr findet Shuttle Commander auf Steam, hier im PlayStation Store und hier für Oculus Quest.

Überblick der Rezensionen
Das Fazit
Nach 16 Jahren E-MEDIA bloggt Manfred Huber jetzt über die Technik-Themen, die ihm am meisten Spaß machen – und das ist momentan alles rund um Virtual Reality.
shuttle-commander-im-testFür Shuttle Commander muss ich eine sehr abgedroschene Testfazit-Phrase aus dem Keller holen: „Genre-Fans greifen zu“. Ernsthaft: Wenn ihr Space-Nerds seid und wissen wollt, wie es sich im Shuttle-Cockpit beim Start angefühlt hat, und wenn ihr eure Pilotenkünste beim Landen perfektionieren wollt: Greift zu, spätestens im nächsten Sale. Ich weiß nicht, wie oft mir die Launch-Experience schon reingezogen hab: Jedes Mal ist das wieder intensiv und emotional und einfach cool. Ich bin aber auch jemand, der seinerzeit vier Mal in die USA geflogen ist, um einmal einen Shuttle-Start live zu erleben, und der heute jeden Starship-Testflug im Livestream schaut. Gehört ihr nicht in diese Nerd-Ecke, könnt ihr Shuttle Commander wahrscheinlich nicht gar so viel abgewinnen.